Insurance
Im ersten Artikel unserer Serie „KI-Kompetenz für Unternehmen“ sind wir darauf eingegangen, wie Unternehmen Mitarbeitende für KI begeistern und Kompetenzen aufbauen können. Anknüpfend daran wollen wir nun beleuchten, wie sich das Führungsverständnis im KI-Zeitalter verändert bzw. unserer Empfehlung nach verändern sollte.
Die Einführung von KI in Unternehmen treibt nicht nur den technologischen Wandel voran, sondern ist zugleich der Startpunkt einer Transformation, die Führung, Zusammenarbeit und Entscheidungsprozesse neu definiert. Den Erfolg oder Misserfolg von KI-Initiativen bestimmen Mitarbeitende signifikant mit: Es gilt, neue Denk- und Arbeitsweisen für Führungskräfte und Teams zu etablieren, um durch wohlüberlegten Einsatz von KI langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Lassen Sie uns am Beispiel eines fiktiven Unternehmens zunächst skizzieren, welche Konsequenzen ein nicht oder nur wenig überdachter Einsatz von KI nach sich ziehen kann: Der Krankenversicherer MedInsurance führt ein KI-Tool ein, das potenziell betrugsverdächtige Rechnungen identifiziert. Da Kapazitätsengpässe bestehen und die Mitarbeitenden noch nicht im Umgang mit KI geschult sind, man aber mit dem KI-Trend mithalten möchte, verlässt man sich auf Qualitätszusagen des Herstellers und verzichtet auf regelmäßige interne Prüfungen der Ergebnisqualität. Nach der Produktivschaltung erhöht sich der Anteil nicht ausgezahlter Belege, was sich im Finanzwesen positiv auf Leistungsstatistiken auswirkt. Parallel bemerkt der Kundenservice jedoch eine Zunahme an Rückfragen von Versicherungsnehmenden. Eine Stichprobe zeigt schließlich, dass ein Teil der abgelehnten Rechnungen nach manueller Prüfung hätte ausgezahlt werden müssen. Noch steht kein Reputationsschaden im Raum, doch Management und Mitarbeitende haben erkannt, dass die unternehmensinterne Beschäftigung mit dem KI-Tool unumgänglich ist, beispielsweise zur Feinjustierung der Erkennungslogik.
Um mit dem Trend mitzuhalten, auf veränderte Marktanforderungen und eine daraus resultierend wachsende Kundenorientierung sowie kürzere Innovationszyklen zu reagieren, haben in den letzten Jahren viele Unternehmen agile Führungsmodelle eingeführt. Sie zeichnen sich mitunter dadurch aus, dass Teams – cross-funktional ausgestattet mit allen für die erfolgreiche Erledigung einer Aufgabe relevanten Rollen – mehr Entscheidungsspielraum übertragen wird. Die Führungskraft tritt weniger als Autorität auf, die vorgibt, was bis wann mit welcher Priorität zu erledigen ist, sondern wirkt eher im Hintergrund an der Befähigung agiler Teams mit.
Die Einführung und Etablierung von KI birgt jedoch weitere Herausforderungen. Sie gehen über das hinaus, was agile Führung bisher bereits adressiert: KI verändert Entscheidungslogiken, Verantwortungszuschreibungen und ethische Bewertungsmaßstäbe. Um damit umzugehen, wollen wir nicht der Frage nachgehen, ob Führung modern oder agil sein sollte, sondern derjenigen, wie sich Führung darüber hinaus weiterentwickeln muss:
- Wie lässt sich der Umgang mit algorithmischer Intransparenz gestalten?
- Wer trägt die Verantwortung für KI-gestützte Entscheidungen?
- Wie kombiniert man menschliches Urteilsvermögen mit maschineller Empfehlung?
- Welche ethischen Prinzipien leiten den KI-Einsatz?
Schlussendlich werden alle Mitarbeitenden mit diesen Spannungsfeldern konfrontiert, im Besonderen jedoch die Führungskräfte als Steuerungsorgane von Unternehmen. Deren Verständnis für KI als langfristig wirkende Technologie ist essenziell, um Mitarbeitende und Teams angemessen zu unterstützen und ihnen Türen zum regulatorisch konformen Einsatz von KI zu öffnen.
Was Führung in der KI-Ära bedeutet
Die genannten Fragestellungen und das sich verändernde Führungsverständnis greifen wir mit Impulsen zu drei zentralen Herausforderungen auf:
- Umgang mit algorithmischer Unsicherheit und Komplexität
- Gestaltung der Zusammenarbeit von Mensch und KI
- Übernahme von Verantwortung für datenbasierte Entscheidungen
Umgang mit algorithmischer Unsicherheit und Komplexität
KI-Systeme agieren nicht nach starren Regeln, sondern basierend auf Wahrscheinlichkeiten. Anders als klassische IT-Systeme arbeiten sie also nicht deterministisch, sondern probabilistisch. Führungskräfte müssen daher lernen, mit Unsicherheit umzugehen: Sie können sich nicht blind auf ein KI-generiertes Ergebnis verlassen, sondern müssen dessen Aussagekraft einschätzen, Kontextwissen einbringen und sich im Bedarfsfall auch gegen die Empfehlung einer KI entscheiden. Dabei haben sie eine Vorbildfunktion gegenüber ihren Mitarbeitenden und Teams. Das bedeutet, dass es gerade nicht um die Übergabe von Verantwortung an Maschinen geht, sondern um die Gestaltung eines Entscheidungsraums, in dem Menschen reflektiert mit Maschinen interagieren.
Gestaltung der Zusammenarbeit von Mensch und KI
Während agile Führung auf die Zusammenarbeit von Menschen fokussiert, erweitert Führung im KI-Zeitalter das Spielfeld: Künftig arbeiten Mitarbeitende gemeinsam mit KI-gestützten Systemen – sei es im Marketing, der operativen Bestands- oder Leistungsbearbeitung oder der Risikoanalyse. Zu Beginn wird KI dabei die Rolle eines Auszubildenden haben, in weiteren Ausbaustufen wird dieser zunehmend selbstständiger und führt Prozesse gesamthaft aus, die Mitarbeitende mit entsprechender Fachkompetenz am Ende abnehmen oder freigeben.
Führungskräfte sind gefragt, diesen Wandel aktiv zu gestalten:
- Welche Aufgaben übernimmt KI?
- Wo liegen die Grenzen automatisierter Systeme?
- Wie befähigen wir Mitarbeitende, KI sicher und kompetent zu nutzen?
Die zentrale Aufgabe ist nicht nur Arbeitsprozesse neu zu definieren, sondern auch Vertrauen in neue Systeme aufzubauen – ohne in technikgläubige Passivität zu verfallen. Vertrauen ist eben gerade wegen der Vergleichbarkeit eines KI-basierten Assistenten mit einem Auszubildenden oder Werkstudenten essenziell. Diesen muss man bei seiner Arbeit ebenfalls zunächst anleiten, sich im gleichen Zuge aber auch auf ihn einlassen. Stellt ein Unternehmen allen Mitarbeitenden KI-Assistenten wie ChatGPT zur Nutzung im Arbeitsalltag zur Verfügung, haben alle einen zwar sehr klugen, aber im Zweifel unerfahrenen Counterpart, mit dem sie interagieren können. Das funktioniert nur dann, wenn Mitarbeitende auch gelernt haben, KI sicher und kompetent zu nutzen – und dies zu ermöglichen, ist wiederum Sache der Führungskraft.
Übernahme von Verantwortung für datenbasierte Entscheidungen
KI kann Vorurteile reproduzieren, Entscheidungen intransparent machen oder unbeabsichtigte Diskriminierung verstärken. Daher obliegt es Führungskräften, ethische Leitplanken zu formulieren und Routinen zur Überprüfung der Einhaltung zu definieren:
- Schaffen von Klarheit darüber, in welchen Anwendungsfeldern KI sinnvoll und vertretbar ist
- Definition von Mechanismen zur Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit
- Etablierung einer Kultur, die offen für Zweifel, Kritik und Diskurs ist
Sollen Systeme bis zu einem gewissen Grad autonom operieren, liegt es an der Unternehmensleitung und den Führungskräften, klare Verantwortlichkeiten zu definieren. Das kann durch ein umfassendes KI Target Operating Model (TOM) oder zunächst durch einen Teil davon, wie den Aufbau einer passenden KI-Governance, erreicht werden. Ist dieser Rahmen einmal geschaffen, können Mitarbeitende besser einschätzen, was mit KI in ihrem Arbeitsalltag möglich ist und wo die Grenzen liegen.
Führung neu denken – nicht neu erfinden
Die Verankerung von KI zwingt Unternehmen nicht zur Abkehr von agilen Prinzipien, wohl aber zu deren Erweiterung. Es reicht nicht aus, Teams zu befähigen und Entscheidungsräume zu öffnen. Es braucht Führungskräfte, die algorithmische Systeme verstehen, kritische Fragen stellen, ethische Verantwortung übernehmen und ihren Mitarbeitenden und Teams genau dasselbe vermitteln. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, können alle in korrekter Art und Weise auf ihre KI-Assistenten zurückgreifen.
KI verändert also nicht nur Prozesse, sondern Rollenverständnisse. Die Entwicklung eines Rollenmodells für hybride Entscheidungen ist genauso wichtig wie die adäquate Gestaltung von Interaktionspunkten zwischen Mensch und KI oder die Definition von Verantwortlichkeiten, Kontrollmechanismen und „Human in the Loop“-Schleifen. Auf diesen Grundlagen können sich neue Rollen- wie Führungsansätze etablieren und weiterentwickeln.
Capco empfiehlt dabei eine tiefe Verbindung von Governance, Fachlichkeit und Technologie über alle Unternehmensbereiche hinweg, beispielsweise im Sinne eines KI TOM, und unterstützt Sie gerne bei der KI-Transformation in Ihrem Unternehmen. Kontaktieren Sie uns – und bleiben Sie gespannt auf den nächsten Artikel unserer Serie, in dem wir beleuchten, wie sich KI erfolgreich im Unternehmen skalieren lässt.