Dienstag, 27. Oktober 2020 | 17:00 - 18:30 Uhr | Virtuell
Digitalisierung der Kapitalmärkte – elektronische Wertpapiere in den Startlöchern?
Über viele Branchen hinweg wurde in den letzten Jahren das disruptive Potential der Blockchain beschworen. Am deutschen Kapitalmarkt bahnt sich die Blockchain-Revolution nun tatsächlich an: in ersten Pilotprojekten konnten sich elektronische Wertpapiere bewähren. Was mit digitalen Schuldverschreibungen bereits funktioniert, könnte in den nächsten Jahren auch weitere Kapitalmarktbereiche erfassen. Um die Herausforderungen und Chancen des Trends zu erörtern, lud Capco am 27. Oktober zum Institute Event „Security Token und DLT als Zukunftsmodell der Wertpapierabwicklung“ ein.
Capco Senior-Partner Carsten Hahn moderierte eine Diskussion, an der Radoslav Albrecht, CEO und Gründer von Bitbond, Holger Meffert, Head of Securities Management bei der DZ BANK, Götz Röhr, Head of Product Management und Services der HSBC sowie Simon Seiter, Head of Digital Assets der Deutschen Börse, teilnahmen. Die Gruppe diskutierte angeregt, inwieweit sich mit der Digitalisierung der Kapitalmärkte die Geschäftsmodelle und Rollen der Marktteilnehmer nachhaltig verändern könnten.
Carsten Hahn eröffnete das Panel mit einer kurzen Zusammenfassung des Status quo. So hätten sich in den vergangenen zwölf Monaten zwei wesentliche Treiber für die Thematik herauskristallisiert. Zum einen habe die Bundesregierung mit ihrer nationalen Blockchain-Strategie die Thematik noch stärker in das wirtschaftliche Bewusstsein gerückt, zum anderen sei mit dem Referentenentwurf der EU ein erster regulatorischer Meilenstein gelungen.
Simon Seiter von der Deutschen Börse unterstrich die Potentiale, welche im Bereich der Effizienzsteigerung zu erwarten seien. Der Einsatz neuer Technologien könne im Bereich der Abwicklung einen Quantensprung in puncto Effizienz darstellen, ohne dass Endkunden von dieser Transformation überhaupt etwas mitbekommen. „Trotz aller Digitalisierung gehört der Umgang mit Papier noch immer zu den Standardprozessen im Bereich der Abwicklung. Dank elektronischer Wertpapiere gelingt die Abwicklung schneller und günstiger. Innerhalb von einer Dekade rechne ich damit, dass elektronische Assets – auch Aktien und Anleihen – die Kapitalmärkte prägen.“ Diese weitreichende Vision führte zu einer angeregten Debatte. Bitbond CEO Radoslav Albrecht betonte ebenfalls das disruptive Potential, welches der Einsatz der Blockchain mit sich bringt: „Im Bereich von Schuldverschreibungen sind die Transparenzvorteile der neuen Technologie offensichtlich.Hier wird es zügig weitere Entwicklungen geben. Im Bereich des Settlements bei Aktien sehe ich diese großen Vorteile derzeit nicht.“
Auch HSBC Experte Götz Röhr betonte: „Im Bereich von Trade Finance wird sich die Blockchain schnell durchsetzen. Bei aller Euphorie rund um die neue Technologie müssen wir aber im Blick behalten, ob der Einsatz der Blockchain wirklich bestehende Probleme für unsere Kunden löst. Hier muss man genau abwägen, ob sich die Transformation tatsächlich für den Kunden auszahlt. Sonst laufen wir Gefahr, schlicht eine neue Mausefalle zu erfinden – ohne jedoch Mehrwert zu schaffen.“
Carsten Hahn lenkte die Diskussion im Anschluss auf die Herausforderungen in den Bereichen Infrastruktur und Standardisierung. So stelle sich aktuell die Frage, ob es für die Bundesrepublik Deutschland möglich sei, eine Vorreiterrolle im Bereich der Blockchain einzunehmen. Holger Meffert von der DZ BANK unterstrich: „Aktuelle Pionierprojekte wie Finledger sind essentiell, zeigen sie doch deutlich, welche Chancen bestehen – aber auch welche Probleme noch behoben werden müssen. Ich glaube, für den Einsatz der Technologie werden sich in den nächsten Jahren in den verschiedenen Märkten Standards herausbilden. Vorreiter in diesen Bereichen haben die Chance, gemeinsam mit den anderen teilnehmenden Unternehmen grundlegende Eckpfeiler in diesen Segmenten zu setzen.“ Bitbond CEO Radoslav Albrecht regte an: „Die Entwicklungen befinden sich derzeit noch ganz am Anfang. Gerade in dieser Startphase könnte es sinnvoll sein, Standardprotokolle für die DLT-Technologie vorzugeben, um bei Instituten Zweifel auszuräumen.“ Wie groß das Potential insbesondere für Deutschland ist, kann derzeit kaum prognostiziert werden. Holger Meffert gab zu bedenken: „Die großen Finanzinstitute der USA oder Asiens verfügen über Budgets, die einen ganz anderen Spielraum bei Projekten ermöglichen, wie das bekannte Vorhaben Libra im Bereich der Kryptowährungen eindrucksvoll zeigt. Diese Ambitionen haben das Potential, den Markt zu prägen.“
Im Anschluss diskutierte die Expertenrunde Risiken, welche im Zusammenhang mit KYC-Vorgaben für Geldhäuser im Zuge einer DLT-Revolution bestehen könnten. So gelte es auch weiterhin, den Bereich Financial Crime mit Themen wie Geldwäsche, Terrorfinanzierung etc. nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn hier noch offene Fragen bestehen, bestand Einigkeit darüber, dass in den kommenden Jahren mit vielen neuen Facetten und Innovationen im Bereich der Blockchain-Abwicklung zu rechnen sei. Simon Seiter betonte: „Digitale Wertpapiere erinnern ein wenig an digitale Musikstücke – vor 20 Jahren hat wohl noch niemand verstanden, welche neuen Möglichkeiten dieser Innovation innewohnen. Ich bin mir sicher, dass es uns im Bereich der Wertpapiere ähnlich gehen wird. Heute fehlt uns die Fantasie, sämtliche Anwendungsfelder der Zukunft zu antizipieren. Digitale Währungen, das Internet der Dinge und viele Bereiche mehr sind hier denkbar. Die wirtschaftlichen Potentiale werden wir erst in Jahren zur Gänze absehen können.“
Zum Schluss einer angeregten Debatte fasste Carsten Hahn zusammen, dass das facettenreiche Thema alle Beteiligten auch in den kommenden Monaten und Jahren noch intensiv beschäftigen wird. Auch wenn nicht alle zukünftigen Lösungen schon heute absehbar sind, lässt sich festhalten, dass die Potentiale der Blockchain der Finanzwelt die Tür zu einer spannenden neuen Produktwelt öffnet.
Carsten Hahn, Partner
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